Nach
meinem aufrüttelnden Debütartikel, möchte ich heute gerne für
etwas gegenseitiges Verständnis werben und bin dazu im Herbst zu
verschiedenen Veranstaltungen gegangen, um zu sehen, wie Emergenza
funktioniert. Dabei habe ich sowohl mit den örtlichen
Clubbetreibern, den Emergenza Mitarbeitern, als auch mit den Musikern
und deren Fans gesprochen. Das Ergebnis zeigt eindeutige
Verständnisprobleme, die ich hier gerne ausräumen möchte.
Erst
einmal möchte ich mich bei Emergenza bedanken, dass man es mir
ermöglicht hat, so viele Einblicke in die Basisarbeit zu bekommen
und darüber nun auch noch frei berichten zu dürfen. Es ist nicht
selbstverständlich für ein Unternehmen in der Größenordnung, dass
man sich so in die Karten schauen lässt.
Professionelle
Arbeit und positive Überraschungen
Ich
muss sagen, ich war doch positiv Überrascht zu sehen, wie
professionell hier Shows veranstaltet werden. Dass auf dem Taubertal
Open Air, bei entsprechender Personalstärke, auf der Bühne alles
flutscht und in wenigen Minuten ein Umbau und Soundcheck über die
Bühne gehen kann, habe ich erlebt und ist angesichts der vielen
Hands und Profis, die im Rahmen eines solchen Festivals arbeiten,
nichts außergewöhnliches. Ich selbst habe schon mit diversen Bands
auf Festivals dieser Größenordnung gespielt und ein Change Over
Slot von 20 min. - Backline runter, andere Backline hoch plus
Linecheck – ist durchaus üblich und auch machbar. Dass man aber
in einem kleinen Club mit Nachwuchsbands einen „fliegenden Wechsel“
in etwa 5 Minuten schaffen kann, kam mir dann doch etwas übertrieben
vor. Man kann. Emergenza kann!
Ingo,
Backliner in Berlin und schon viele Jahre für Emergenza tätig, war
auch schon auf dem Taubertal mit dabei und erklärte mir, dass die
Bands vorher in einem Meeting entsprechend gebrieft werden und eben
alle über dieselbe Backline spielen, die vom Veranstalter gestellt
wird. Nur so wären die zügigen Umbauten überhaupt machbar. Mit
Aurel sprach ich in Stuttgart. Er war noch vor einem Jahr selbst mit
seiner Band Jurassic*Suicide am Start, macht nun ein Praktikum
bei Emergenza und übernimmt somit auch den Backlinerjob. Er hat also
den direkten Vergleich und wundert sich nun manchmal, wie schlecht
vorbereitet einige Musiker ankommen, dass Informationen bandintern
offensichtlich nicht richtig weitergegeben wurden und manch Einer
ganz schön unbeholfen auf der Bühne agiert.
Dann
ist er gefragt. Aurel steht gerade hinter dem Gitarristen und gibt
dem Techniker am FoH Zeichen, um den Sound auf dem Monitor richtig
einzustellen. Im nächsten Augenblick ist er schon wieder auf der
anderen Bühnenseite und dreht am Amp des zweiten Gitarristen herum,
bis auch da alles passt. Vocalcheck .. Signal ans FoH und ein
Schulterklopfer beim Moderator Matthias, der für die Region als Area
Manager verantwortlich ist, und schon wird die nächste Band
angekündigt.
Das
wirkt alles ziemlich eingespielt und routiniert, dennoch denke ich
mir ist das doch ganz schön stressig. Während die Band spielt, hake
ich also nach: „Wie ist das mit der Backline. Sind da alle
glücklich damit? Wollen da nicht einige der Bands lieber ihr eigenes
Zeug spielen?“ - „Klar“, antwortet Aurel und der muss es ja
wissen, „aber ich war damals total glücklich, dass ich nicht
meinen ganzen Krempel mitnehmen musste und auf der Bühne so
professionell umsorgt wurde. Außerdem ist es ja ein Wettbewerb und
wenn für jeden die gleichen Bedingungen herrschen ist das schon
okay. Natürlich gibt es Gitarristen, die schon richtig geiles
Equipment haben und lieber ihren eigenen Sound spielen wollen, aber
es gibt auch ganz viele, die haben nur Schrott oder noch nicht mal
'nen eigenen Amp. Was sollen die dann spielen? So ist das schon
fair.“ Matthias erklärt mir dann noch, dass der Deal mit
MARSHALL auch etwas ganz besonderes ist, da Marshall tatsächlich
weltweit die Backline stellt – in über 150 Städten und auch noch
jedes Jahr Amps als Preise in den Finalen vergibt. Das ist schon ein
richtig gewichtiger Deal und somit nachvollziehbar, dass der Sponsor
dann auch ausschließlich sein Material auf der Bühne sehen will.
Ich frage dann noch, ob es auch ein finanzielles Sponsoring gibt bei
Emergenza und erhalte ein klares „NEIN! Die Unabhängigkeit ist
uns wichtig und wir arbeiten ja wie eine normale Bookingagentur auch,
nur eben mit Nachwuchsbands und im Rahmen eines Wettbewerbes.“
Unwissenheit
und falsche Informationen bilden den Graben
Jetzt
will ich es wissen und gehe auf die Besucher zu, um ihnen auch ein
paar Fragen zu stellen. Und da ist er – dieser Graben. Von den
Besuchern bekomme ich fast ausschließlich Antworten, wie „meine
Band ist die Beste! - Ob ich auch für sie gestimmt hätte?“ Wie
sich Emergenza finanziert und wer über welches Equipment spielt, ist
ihnen gänzlich Wurst. Einige finden die Eintrittspreise zwischen 7 –
11 € zu teuer und ich denke nur an meinen erste Artikel zurück.
Ich konfrontiere und hake nach, ob sie denn wüssten, was so eine
Veranstaltung für Kosten verursacht: Clubmiete, Technik, Techniker,
Einlasspersonal, Strom und sonstige Nebenkosten, GEMA und dann soll
nach Möglichkeit auch noch ein Gewinn übrig bleiben. Ich
überschlage schnell die Publikumsmenge und rechne hoch. „Da
kann nicht wirklich was hängen bleiben“, denke ich mir und
erahne in den Gesichtern meiner Gesprächspartner etwas, wie Einsicht
und Verständnis. Man prostet mir zu und der ein oder andere hat wohl
inzwischen locker schon die doppelte Summe des Eintritts in Alkohol
investiert und feiert eine ausgelassene Party. Ich gehe weiter
Richtung Theke und erwische einen Mitarbeiter, der hier
offensichtlich einiges zu sagen hat und mir gesteht, dass er die
meisten Bands eher schlecht findet und die hier sonst niemals spielen
dürften, dass er aber das Konzept von Emergenza geil findet, da so
der Nachwuchs eben auch mal die Chance hat in einem coolen Club zu
spielen. Nach dem Umsatz gefragt meint er nur, dass natürlich nur
bei Parties mit DJs richtig Geld verdient würde, aber mit Emergenza
man immerhin eine zeitliche Lücke füllen könnte, zu der sonst der
Laden sogar zu wäre und man somit zumindest dem Personal einen
kleinen Zuverdienst ermöglicht, damit sie ihre Miete bezahlen
können. Und natürlich bekommt man so auch neue Leute in den Club,
die vielleicht mal zu einer anderen Veranstaltung kommen.
Eigene
Fehler und Schwächen zuzugeben fällt schwer
Erscheint
mir einleuchtend und nachvollziehbar. Mit diesem Wissen neu betankt
mache ich mich auf Richtung Backtage. Zutritt nur für Musiker. Für
mich wird heute eine Ausnahme gemacht. Drinnen sitzen rauchend und
trinkend ein paar Typen, die teils schon gespielt haben, teils noch
dran sind und unterhalten sich gerade angeregt über Soundfragen und
ihre möglichen Chancen. Ich lausche eine Weile und höre zwischen
den Zeilen heraus, dass der ein oder andere mit den professionelleren
Ansprüchen schon etwas überfordert ist und einige, nicht ganz so
befriedigende Eindrücke gewonnen hat. Den Mut sich selbst den
Spiegel vorzuhalten und die Erkenntnisse als Erfahrung zu akzeptieren
und an sich hart zu arbeiten, lassen sie aber zunächst missen. Auch
das erinnert mich schon wieder an Teile aus meinem ersten Artikel.
Nach etwas allgemeinerem Smalltalk und den üblichen Floskeln, wie
gut sie doch waren, packe ich dann doch die Keule aus und beginne
meinen Satz mit: „Also, mal ganz ehrlich...“ . Augen
weiten sich und es wird ruhig. Von einem Außenstehenden ist es wohl
doch einfacher auch mal Kritik anzunehmen, zumal wenn er vom Fach
ist. Auf die Tatsachen angesprochen, die ich den Abend über
ermittelt hatte, kam überwiegend ein Schulterzucken und der
Klassiker: „Aber Emergenza verdient doch an uns. Wir haben die
Karten an unsere Freunde verkauft.“ Als ich dann vorrechne, was
meiner Kalkulation nach an dem Abend evtl. hängen bleibt, bzw. wie
viel vielleicht sogar noch an Geld mitgebracht werden musste, um
überhaupt alles bezahlen zu können, schießt gleich der nächste
Klassiker hinterher: „Das machen die doch alles mit Sponsoren
wieder wett“. So nach und nach schaffe ich es Gerüchte aus der
Welt zu räumen und zeige auf, dass ich als Clubbetreiber keine
einzige dieser Bands gebucht hätte. Denn wer es nicht schafft einen
Laden zu füllen, braucht auch nicht dort aufzutreten. Es muss ja
immer ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein. Und eine Band ist
verdammt noch Mal dafür verantwortlich, ob Leute kommen oder nicht.
Und nicht der Veranstalter. (Anm. d. Red.: vgl. hierzu auch diesen Artikel)
Der kann nur die Werbung machen. Wenn aber niemand die Bands kennt
und wenn diese Bands scheiße sind, so wird auch niemand kommen.
Punkt aus. Dass es einen Veranstalter, wie Emergenza gibt, der
tatsächlich ohne eine Vorauswahl zu treffen, jede Band spielen lässt
und dies auch noch ohne jegliches finanzielles Sponsoring macht und
somit alle Risiken übernimmt - den Bands gegenüber und auch den
Clubbetreibern gegenüber – ist einzigartig und kenne ich so
vergleichbar nicht von einem anderen Veranstalter oder Wettbewerb.
Wenn ich damals als junger Kerl diese Chancen gehabt hätte mit
meiner Band in solchen Läden zu spielen, ich denke, wir hätten
alles dafür gegeben. Wir sind damals in dreckigen kleinen Juzes, in
Kellern und anderen Spielunken aufgetreten, oft ohne PA, geschweige
denn ein Techniker. Meist ohne Gage oder Spritgeld, manches mal noch
nicht mal eine Kiste Bier und hatten dann oft keine 10 Zuschauer.
Selbst heute müssen Bands auf dem Weg nach oben noch viel extremere
Geschichten machen. Als Support durften wir schon mal unser
Abendessen auf dem Hallenboden genießen, weil der Backstage
angeblich zu klein war. Emergenza hingegen scheint mir da hingegen
das reinste Schlaraffenland und nach einigen weiteren Worten und
Anekdoten verabschiede ich mich wieder aus dem Backstagebereich mit
der Erkenntnis, dass viele Musiker nicht im Ansatz checken, wie die
Realität im Musikbusiness wirklich aussieht.
Verblendung
durch die Medien oder aus mangelndem Interesse
Da
ist er also: Der große Graben. Scheinbar unüberwindbar, da ich
nicht wirklich das Gefühl gewonnen hatte, dass irgendjemand im
Publikum oder einer der Musiker tatsächlich auch inhaltlich
verstanden hatte, was ich in den Gesprächen gerade erwidert hatte,
wuchs natürlich in mir der Wunsch dies niederzuschreiben und es
somit in die Welt hinauszuschreien. Bei den privaten Fernsehanstalten
gibt es täglich diese wüsten, gefaketen Social Dokus, die das ganze
Unheil von unterbezahlten und ausgebeuteten Supermarktkassiererinnen
zeigen und anderes mehr. Aber ihr scheinbaren Musikliebhaber, die ihr
täglich massenhaft Musik konsumiert, ja ohne sie nicht leben könnt
und sie auf dem Rechner, dem Smartphone und sonst überall mit euch
rumschleppt, habt ihr auch nur mal einen Funken eines Gedankens daran
verloren, was für ein riesen Apparat dahinter steckt und wie viele
Mühen und Anstrengungen es braucht, bis ein Newcomer tatsächlich
erfolgreich wird und dann von euch konsumiert werden kann und dass
das alles tatsächlich auch viel Geld kostet, es eben eine eigene
Wirtschaftsindustrie ist und es schon einfach damit anfängt, wieviel
man bereit ist am Eingang zu bezahlen?
Kino:
8 bis 12 Euro, kein Thema; Fußball: 10 bis 100 Euro, kein Thema;
Festivaltickets: 30 bis 150 Euro, kein Thema, aber ein Konzert mit
Nachwuchsbands sollte nach Möglichkeit unter 5 Euro kosten? Das kann
nur in einer stark abgespeckten Version funktionieren, in einem Juze
mit geringem technischen Aufwand und jeder Menge Subventionsgeldern,
die ja letztendlich auch wieder eure Steuergelder sind. Das zu
durchleuchten, wäre aber schon wieder eine eigene Geschichte.
Vielleicht demnächst dann mehr dazu.
Nicht
der Nörgler macht die gute Stimmung
Und
vielleicht denkt ihr einfach mal bei eurem nächsten Konzertbesuch
daran, wie vielen Mitarbeitern ihr mit eurer Bereitschaft einen
angemessenen Eintrittspreis zu bezahlen, einen Arbeitsplatz und somit
das Leben sichert. Und dass vor allem in der Live-Musik-Wirtschaft
ganz viele Leute arbeiten, die das mit extremer Leidenschaft und
großem Herzblut machen, weil es anders sicherlich gar nicht möglich
wäre.
Kritik
immer gerne, wenn sie fundiert und gerechtfertigt ist. Im
Nachwuchsbereich sehe ich das absolut nicht, denn hier reißen sich
tatsächlich alle Beteiligten den Allerwertesten auf und es wird
einem ganz selten gedankt.
Als
Fan / Zuschauer hast du im Idealfall einen netten Abend gehabt und
eventuell sogar einen in der Krone, als Musiker vielleicht sogar das
Gleiche plus obendrauf noch eine bequeme Show mit wenig Schlepperei –
sicherlich auch mit ein paar technischen Kompromissen, aber hey, wir
wollen mal die Kirche im Dorf lassen. Und als Mitarbeiter? Egal ob an
der Theke, am Einlass, auf der Bühne oder als Organisator. Im besten
Fall waren einige nette Menschen da und nicht nur Nörgler, die
Stimmung war gut und vielleicht gab es einen angemessenen Lohn oder
gar mal ein Trinkgeld. Aber in erster Linie war es Arbeit –
Dienstleistung – die es den Besuchern ermöglicht hat einen schönen
Abend zu erleben. Das sollten wir alle nicht vergessen.
Euer
Tom van der Drum
Artikel 1: Sind deutsche Newcomerbands so schlecht?
Artikel 3: Warum schimpfen immer nur die Verlierer?
Artikel 4: Die bekanntesten Wettbewerbe im Vergleich
Artikel 5: Bandtutorial: Fehlervermeidung statt aus fehlern lernen